Eine Revolution?
Nein, nur ein Erdbeben!

Im Mai habe ich an dieser Stelle von der politischen Umwälzung in Baden-Württemberg als Ergebnis der Landtagswahl berichtet. Das Unterste wurde nach oben gekehrt, Grün-Rot statt Schwarz-Gelb! Im Allgemeinen wird ein derartiges Ereignis als Revolution bezeichnet. War das eine?

Gemessen an dem, was wir an Revolutionen in der Geschichte schon erlebt haben mit gewaltsamen Umstürzen und Bürgerkriegen, sicher nicht. Aber: Für das konservative Baden-Württemberg war das schon ein politisches Erdbeben. Nicht genug damit, dass die alte Dauer-Regierungspartei CDU abgelöst wurde, nein, die Ampel sprang über Rot hinweg gleich auf Grün. Das ehemals schwarz regiertee Land hat damit den ersten grünen Ministerpräsidenten der Republik, einen ehemaligen Lehrer und GEW-Mitglied.
Wer bisher immer behauptet hatte, dass Wahlen längst verboten wären, wenn sie etwas verändern würden, sollte ab jetzt genauer hinschauen. Die alte Schullandschaft in Baden-Württemberg wird sich grundlegend verändern, nicht von heute auf morgen, aber doch im Laufe der nächsten 5 Jahre. Die neue Regierung muss allerdings – wenn sie nachhaltige Veränderungen in dieser Zeit bis zur nächsten Wahl erreichen will – ein Schulsystem implantieren, das nicht ohne Weiteres wieder revidiert werden kann.
Mit anderen Worten: Die neu zu gründenden Schulen müssen so gut arbeiten, dass sie in ihren Heimatgemeinden angenommen und von der Mehrheit der Bürger unterstützt werden.
Einige Anträge liegen der eigens dafür eingerichteten Stabsstelle im Kultusministerium bereits vor. Ob sie genehmigt werden, wird wohl davon abhängen, in wie weit deren Konzepte den Vorstellungen der neuen Regierung von einer guten Schule entsprechen.
Das Netzwerk In einer Schule gemeinsam lernen in Baden-Württemberg hat dazu ein Papier vorgelegt, das im Großen und Ganzen dem Kriterienkatalog der GEW und GGG folgt. Die zentralen Punkte dieses Kataloges (Stichpunkte: länger gemeinsam lernen, individuelle Förderung, keine Selektion, Zusammenlegung von Schularten einschließlich des Gymnasiums etc.) finden sich auch schon im Koalitionsvertrag von Rot-Grün.
Diese neuen Schulen werden Gemeinschaftsschulen heißen – und sie könnten die alten drei Gesamtschulen pädagogisch unter Zugzwang setzen. Sie sehen nämlich, soweit bisher bekannt, bis Klasse 10 gemeinsamen Unterricht weitgehend ohne Fachleistungsdifferenzierung vor. Davon sind die alten Gesamtschulen noch weit entfernt.
Für die engagierten Eltern und Lehrer gilt es jetzt, die neue Regierung zu beraten und zu unterstützen, damit das Erdbeben keinen Schulkrieg auslöst.

Jürgen Leonhardt