Länderbericht Schleswig-Holstein 2017/3

Am 29.6.2017 hat Daniel Günther (CDU) im Landtag seine Regierungserklärung als neuer Ministerpräsident abgegeben. Anschließend haben die Fraktionsvorsitzenden der im Landtag vertretenen Parteien dazu und zum Koalitionsvertrag Stellung bezogen. Dabei hat die Bildungspolitik eine wichtige Rolle eingenommen. Das Motto könnte sein „Vorwärts in die Vergangenheit.“ Auch wenn die neue Landesregierung in vielen Politikbereichen nichts wirklich Neues anfasst, sieht es in der Bildungspolitik anders aus. Hier erfolgt ein qualitativer Wechsel im Geiste. Gewollt ist ein selektives Schulsystem.

Da hilft es auch nichts, wenn die Grünen als Koalitionspartner von CDU und FDP von Bildungsgerechtigkeit und Chancengerechtigkeit als ihren zentralen Anliegen sprechen. Bei den beabsichtigten Veränderungen bleiben dies Worthülsen. Auffallend war die eindeutige Zustimmung der AfD zu den geplanten und von uns kritisierten Veränderungen im Bildungsbereich. Das sollte doch zu denken geben.

Die GGG-Schleswig-Holstein hat in einer differenzierten Stellungnahme Position zum Koalitionsvertrag der neuen Landesregierung bezogen. Folgende Auszüge belegen, warum wir berechtigte Befürchtungen bezüglich eines Rückschrittes in der Bildungspolitik haben:

  • Die geplanten Veränderungen im Lehrkräftebildungsgesetz mit der Wiedereinführung der schulartbezogenen Lehrkräfteausbildung, d. h. der Wiedereinführung eines Gymnasiallehramtes und eines Gemeinschaftsschullehramtes. Damit wird eine ganz wichtige, bundesweit beachtete Entscheidung zurückgenommen und dem Land ein Alleinstellungsmerkmal genommen.
  • Die beabsichtigte Wiedereinführung einer schriftlichen Grundschulempfehlung, die an der weiterführenden Schule bei der Anmeldung vorgelegt werden muss.
  • Die Aufweichung der im aktuellen Schulgesetz formulierten Rahmenbedingungen für das pädagogische Handeln an Gemeinschaftsschulen, zu denen die Rücknahme der Priorität eines binnendifferenzierenden Unterrichts zugunsten der äußeren Fachleistungsdifferenzierung, die Einführung standardisierter Notenzeugnisse und die Ermöglichung von Klassenwiederholungen gehören. Die Möglichkeiten befördern die Selektivität von Schule und widersprechen dem Kern einer inklusiven Pädagogik.
  • Erschwernisse bei der Einrichtung weiterer Oberstufen an Gemeinschaftsschulen. Die Verteilung von Oberstufen an Gemeinschaftsschulen weist deutliche regionale Unterschiede auf, mit der Konsequenz der Bildungsbenachteiligung für Schülerinnen und Schüler, die in diesen Regionen leben.
Fazit

Betrachtet man die Entwicklung der Schulpolitik in Schleswig-Holstein vor dem Hintergrund der mehrmals erfolgten Regierungswechsel der letzten 15 Jahre, so ist eindeutig folgender Trend zu erkennen. Regierungen unter Beteiligung oder Federführung der SPD, auch in Koalitionen mit Bündnis 90/Die Grünen und dem SSW, gelingt es, das gemeinsame Lernen auszubauen und zu stärken. Im Gegensatz dazu drehen konservativ-liberal geführte Regierungen das Rad immer wieder ein Stück zurück. Alle Parteien haben sich mit dem Zweisäulenmodell arrangiert, wobei die einen mehr die Gleichwertigkeit der beiden Schulformen betonen und die anderen mehr die unterschiedlichen Aufgaben von Gymnasien und Gemeinschaftsschulen und deren Zusammenwirken im selektiven System hervorheben. Die Überwindung dieses Systems wird in Schleswig-Holstein von keiner Partei mehr gefordert, mithin bleibt das Zweisäulenmodell mit der Sonderstellung des Gymnasiums ein selektives Schulsystem.

Zur Bewältigung der gesellschaftlichen Herausforderungen und zur Erfüllung übernommener Verpflichtungen, wie der Bewahrung der Menschenrechte, des Erhalts der Demokratie und der Umsetzung der Inklusion, wäre es jedoch erforderlich, die Rolle der Schule grundsätzlich neu zu

denken. Nur wenn die Systemfragen in den Blick genommen und die gegebenen Strukturen überwunden werden, sind erfolgversprechende Lösungen möglich.

DIETER ZIELINSKI